vom sprechen beim gehen und reden beim denken


der unterschied zwischen lesen und schreiben
gedanken aufnehmen < = > gedanken ablegen

das kind soll schlafen. es ist sonnig an einem frostigen vormittag. auf dem spaziergang trage ich mein aufnahmegeraet mit angeschlossenem mikrophon bei mir – besser haben und nicht brauchen als brauchen und nicht haben. die aufnahme starte ich beim aufbrechen, hoere meine stimme klar und deutlich ueber die kopfhoerer. anfangs faellt es mir schwer meine gedanken zu fokussieren. nach etwa einer dreiviertel stunde setzt ein gefuehl von sicherheit ein, es breitet sich aus und am ende des zweistuendigen spaziergangs stehe ich mit einem hochgefuehl vor dem tor des vierkanthofes, den ich bewohne. aufbruchstimmung, im laufe der zwei stunden wird mir klar, wie sehr das selbstgespraech mit den interessen hinsichtlich meines projekts zusammenhaengt. hochmotiviert nehme ich mir am ende vor, dieses mal wirklich spaeter durch die aufnahme zu hoeren, vielleicht sogar wieder und wieder und sie zu zerschneiden, um sie dann vielleicht sogar zu etwas fertigartigem zu montieren. zumal es zeitlich auch so gut passt, muss ich ja gerade die dokumentation meines projektmoduls erstellen. vor dem tor, ach so klug wie zu vor – manchmal muss man sich lediglich in erinnerung rufen, was man schon wusste – stoppe ich also die aufnahme. moment. die aufnahme? was ist los, hoere ich doch meine stimme.. .. nein .. die erkenntnis versetzt mich blitzartig in eine art rumpelstielzchen-selbstzerfetzungsstimmung. natuerlich .. ich hatte nur ein, nicht zwei mal auf den aufnahmeknopf gedrueckt.

hier kann ich nun also allein wiedergeben, was die wiedergabe haette hergeben koennen:

das selbstgespraech

fatalismus, zweifel

woher kommt das jammern? und wohin zeigt es? bei genauerer betrachtung lassen sich etwas konkretere fragen formulieren: wo tun sich wirkliche schwierigkeiten auf? was haelt mich ab, was spornt mich an? das jammern und die selbstzweifel nehme ich ernst, frage nach und trete in einen dialog, der mir nach und nach weitere tueren oeffnet.

erkenntnis: schon versagt

die versagensangst ist eine selbsterfuellende prophezeiung. sie erzeugt erst das versagen durch das bewusstsein der leerstelle, die entweder aus einer unterlassenen handlung oder dem unterlassen einer handlung hervorgeht.

ablenken: lesen statt schreiben

was hindert mich daran, mit dem aufschreiben bzw. dem festhalten zu beginnen? oft lese ich statt zu schreiben. was ist der unterschied zwischen lesen und schreiben? aktiv und passiv? nein, lesen ist nicht passiv und auch nicht unbedingt weniger anstrengend. lesen ist einer/ eines anderen fixierte gedanken aufnehmen. schreiben ist gedanken fixieren. mein interesse fuer fluechtiges und nicht fixiertes, fuer unbenennbare und ungreifbare zwischenraeume laesst sich aus dieser perspektive ergruenden.

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verfluechtigen und fixieren

meine angst vor der fixierung von fluechtigen, performativen momenten – z.b. dem akustischen aufzeichnen von gesprochenen gedanken auf einem spaziergang – stellt sich mehr oder weniger als quatsch heraus. es ist nicht das fixieren, tue ich das ja schon allein durch die aufnahme. es ist eher die angst vor einem kondensieren des fixierten materials. wieder anhoeren, zerschneiden, weglassen, eine art roten faden zu finden usf. die angst davor bezieht sich auf das moegliche ergebnis, dass sich kein roter faden finden laesst und das ganze 'gequassel' nur 'gequirlte scheisse' ist bzw. war. mir faellt auf, dass lesen [-> ablenken: lesen statt schreiben] in gewisser weise etwas fixiertes wieder verfluechtigt. die festgehaltenen gedanken verfluessigen sich beim rezipieren, assoziationen gesellen sich zu den gedanken der autorin [-> hermeneutik]. etwas festgehaltenes kann also jederzeit wieder verfluechtigt werden, vielleicht ist es sogar moeglich, eine fluechtigkeit in das festhalten selbst einzuschreiben.

fixieren und kondensieren

gegen das fixieren spricht nichts. vor dem kondensieren straeube ich mich. diesen widerstand will ich produktiv nutzen. vielleicht ist dieser aspekt an der herausforderung, der ich mich gestellt habe, das 'hart am wind', eine analogie, die julian passenderweise aus dem wasser- bzw. segelsport entlehnt. 'hart am wind' bezeichnet die fahrtrichtung, die fast gegen den wind zeigt, bei der man aber aufgrund der segelkonstruktion die hoechste geschwindigkeit (schneller als der wind) erreichen kann. wie die kruemmung von fluegeln beim fliegen fuer auf einen sog an der oberseite der schwingen und somit fuer auftrieb sorgt, zieht der wind das ausgebuchtete segel quasi zu sich. geschwindigkeit = energie durch widerstand. den widerstand muss ich also nutzen.

das nein habe ich schon

gegen die versagensangst beim kondensieren spricht, dass bei diesem prozess nichts verloren gehen kann. entweder war von vornherein nie etwas interessantes im fixierten, oder aber zeigt sich ein wertvoller aspekt waehrend des kondensierens. das, sei es noch so klein, zeigt sich erst beim schuerfen, waschen, kondensieren, entschlacken, sieben und was noch.

ich kondensiere

nun habe ich kondensiert. die aufnahme, die es nie gab.